Spezifische augustinische Lehrsätze bei den Augustinern des 14. Jahrhunderts
im Vergleich mit dem Meister des Lehrgesprächs und Johannes Hiltalingen von Basel

Die charakteristischen Lehrsätze werden von Zumkeller aus den Sentenzenkommentaren Gregors von Rimini und Hugolins von Orvieto wie folgt zusammengestellt[1]. Ich füge im folgenden jeweils die Stellungnahmen Hiltalingens und des Meisters des Lehrgesprächs hinzu:

"(a) Das Wesen der Erbsünde besteht nach Gregor in der schuldhaften Konkupiszenz (Concupiscentia cum reatu). Hugolin hat sich dieser Lehre Gregors und Augustins nicht angeschlossen."
Auch Johannes von Basel entscheidet sich hier gegen Gregor von Rimini[2]
Der Meister des Lehrgesprächs stimmt mit Johannes von Basel überein: die die wärheit nút verstänt, die hänt einen argwän, daz erbsúnd komme von etlicher widerzzeamkeit, daz gar verre ist der wärheit (AFD=DMA, B.1, c.7, 52f; 59rb).

"(b) Gregor und Hugolin vertreten den Lehrsatz Augustins, dass die ohne Taufe sterbenden Kleinkinder die poena ignis – freilich nur in einem ganz gelinden Ausmaß (poena mitissima) zu erleiden haben. Allerdings hat sich Gregor, dem diese Lehre den Beinamen des tortor infantium eintrug, nicht so eindeutig wie Hugolin zu ihr bekannt, sondern es – nach einer engagierten Darlegung der Auffassungen des Kirchenvaters – dem Leser überlasssen, die Frage zu entscheiden."
Johannes von Basel nimmt, soviel ich derzeit sehe, zu dieser Frage nicht Stellung,
der Meister des Lehrgesprächs ebensowenig.

"(c) Gregor und Hugolin schätzen die Kraft des menschlichen Willens wenig optimistisch ein und erklären, dass dieser ohne Gottes besondere Hilfe (speciale auxilium) keinen moralisch guten Akt zu vollbringen vermag."
Johannes von Basel hält dieselbe These[3].
Der Meister des Lehrgesprächs ebenfalls: Dauon vor allen guoten gedencken vnd vor allem widerker vnd widerstän den súnden muoß gän ein güter wille. ... Luoge, wie gefangen vnd wie vngewaltig der súnder sinselbes ist, daz er kein guot werk mag geleisten, wenn er gütes willen nút enhät. Es sie dän, daz in daz fúr göttlicher mynne mit gnäden wider guot mache. (AFD, B.1, c.76; 54va –54vb).

"(d) Nach der Auffassung der beiden Augustinertheologen kann der gefallene Mensch aus natürlicher Kraft Gott nicht über alles lieben."
Johannes von Basel schränkt ein, zwar könne dem nicht erlösten Menschen die Gottesliebe  als das Höchste mitgeteilt werden, aber nicht als verdienstlicher Akt. Dieser ist nur durch einen speziellen Anstoß und die heiligmachende Gnade möglich[4].
Der Meister des Lehrgesprächs unterscheidet ähnlich: ... das dú sel uon nature als arme nit ist, si múge wahrheit vnd minne bekennen on gnade (GDT 578f). ... daz die natur nit das git, das der mensch got lieber hab denne sich selber (GDT 595f).

"(e) Gregor und Hugolin leugnen den sittlichen Wert der Werke und Tugenden der Ungläubigen."
Johannes von Basel schließt sich dem an, allerdings distanziert er sich zugleich von dem schroffen Standpunkt, der Gregor von Rimini zugeschrieben wird, dass auch die guten Werke des Sünders Sünde seien[5].
Der Meister des Lehrgesprächs bestreitet ebenfalls den sittlichen Wert der Werke und Tugenden der Heiden und Juden: Wer der gnade niht en havt, des werk sind vngerecht vnd wúrkent falsche tugent. Da uon alle juden vnd haiden, von den man alle tugend sait, hattent warer tugent nit, wan si die begirde der gnade oder der gerechtikait nit hattent (GDT 640 – 643)

"(f) Beide Theologen lehren die unbedingte Prädestination und Reprobation des Menschen.
Johannes von Basel lehnt ebenso jegliche Bestimmung der Prädestination und Reprobation durch eine zeitliche Ursache ab[6]."
Der Meister des Lehrgesprächs fasst denselben Sachverhalt so: Warumb aber Judas von der gerehtigkeit wúrde verlaossen näch sinen súnden vnd sant Peter nach sinen súnden getzogen in die gnäde, des ist kein ander sache dän der wille gottes. Wer aber fraoget, warumb er das wolte, der fräget des ein sache, das keyn sach ist. Wän der wille gottes der ist allen zittlichen dingen ein sache, aber er hät kein sache (AFD, B.2, c.5; 93va).

"(g) Dem Wort 1 Tim 2,4 '[Gott] will, dass alle Menschen gerettet werden', gibt Gregor die bekannten restriktiven Deutungen des späten Augustinus, bei Hugolin fehlen Äußerungen darüber."
Johannes von Basel übernimmt den Standpunkt Gregors von Rimini[7].
Der Meister des Lehrgesprächs nimmt nicht direkt zu 1 Tim 2,4 Stellung; aber er lehrt einen eingeschränkten Heilswillen: Wän gott hät als maenig mönsch vßerwelt, als maenigen mynner vnd diener er wolte han, die in lobeten ewiglich. V'ber die zal hät er geschoepfet, die der zijt mynner sint (AFD, B.2, c.5; 92rb). Zur Erklärung fügt er ein Argument Augustins[8] an, dass auch die Verdammten in ihrer Weise gut, und darum der Erschaffung wert seien, wie auch Sonne und Mond gut und der Erschaffung wert sind, auch wenn diese im Vergleich zu den lebendigen Wesen weniger gut sind (ebd. 91-IIvb – 92rb).

"(h) Beide lehren die volle Unverdienbarkeit sowohl der ersten gnadenhaften Hilfe als auch der ersten Rechtfertigung."
Johannes von Basel weicht in differenzierter Weise davon ab. Er kennt ein Verdienst der ersten Rechtfertigung, nicht der ersten Gnadenhilfe. Vielmehr könne der Mensch durch bona meritoria die erste Rechtfertigung (de congruo) verdienen, allerdings nicht ohne die unverdiente Gnadenhilfe Gottes[9].
Der Meister des Lehrgesprächs lehrt für die Gnade wie für die Rechtfertigung ähnlich, wenngleich seine Formulierung eher nach meritum de condigno klingt: daz du weder gnade noch abläß der súnde noch lon in ewigkeit verdienen maht in der wise eins geltes oder eins lones. Du maht aber dichselben werd machen die gäbe, die du von lutern gnäden ietz empfangen hast, in der wise eins armen danckes (AFD, B.2, c.3; 78rb).

"(i) Nach beiden Theologen bleibt der Lohn der ewigen Glorie außerhalb des strikten Anrechts."
Dasselbe gilt für Johannes von Basel[10].
Auch der Meister des Lehrgesprächs weiß, dass es kein Anrecht auf den Lohn der Glorie gibt, da der Mensch kein gerechtes Entgelt für die Gabe der Urstandsgnade und für deren Verlust finden kann: Wer dine wort merket, der siht wol, daz der mönsch als arm ist, daz er nútzit hat, damit er sine súnde möge zuo rehte gebuessen. Vnd dauon wust ich nút die gnäde Ihesu Christi, ich möhte uon vorhten verzwifeln. Dauon wil ich von miner gerehtigkeit laossen vnd wil fliehen in daz lieht christenliches glouben (AFD, B.2, c.3; 77ra).

Urstand, Sünde, Rechtfertigung und Gnade sind die Domänen der Augustiner. Diese Themen beherrschen die beiden Bücher des Meisters des Lehrgesprächs, den 'Gratia-Dei-Traktat' und den 'Audi-filia-Dialog'. Eine speziell antipelagianische Tendenz meldet sich im Orden der Augustinereremiten im 14. Jahrhundert zu Wort. Dieser Antipelagianismus setzt sich auch in den beiden Dialogen durch. Das ist Indiz genug, eine Zugehörigkeit des Meisters des Lehrgesprächs zur Augustinertheologie wahrscheinlich zu machen.

 



[1] Zumkeller, A. (1984): Erbsünde, Gnade, Rechtfertigung und Verdienst nach der Lehre der Erfurter Augustinertheologen des Spätmittlealters. Würzburg: Augustinus-Verlag., S. 5 - 8.

[2] Zumkeller, A. (1980): Der Augustinertheologe Johannes Hiltalingen von Basel († 1392) über Urstand, Erbsünde, Gnade und Verdienst. Analecta Augustiniana, 43, 59 - 161., S. 73f.

[3] Ibid., S. 104 - 107.

[4] Ibid., S. 120 –129, bes. 127f.

[5] Ibid., S. 124 - 126.

[6] Ibid., S. 87 - 98.

[7] Ibid., S. 81f.

[8] Augustinus, De lib. arb., die Verdammten sind dem Sein nach gut

[9] Zumkeller, Johannes Hiltalingen von Basel [Anm. 9], S. 130 - 134.

[10] Ibid., S. 147 – 156, bes. 155f.