Das ist Kurt Ruhs Terminus für eine Gruppe von Texten aus der Nachfolge der Schriften Meister Eckharts, die sich eigenständig und auf hohem sprachlichen und spekulativen Niveau mit theologischen Thesen aus dessen Werk auseinandersetzen.
Vieles, was im 19. Jahrhundert unter dem Oberbegriff Deutsche Mystik entdeckt wurde, gehört genau genommen hierher. Auch Eckhart von Hochheim selbst war ja ein ausgezeichneter Scholastiker, wie sein Beiname Meister Eckhart zeigt. So würden auch seine Schriften unter die Rubrik spekulative Scholastik fallen, wenn nicht deren Form, die Predigt bzw. der erbauliche Traktat, dem entgegenstünden. Aber manche Traktate, die von Franz Pfeiffer[1] unter Eckharts Namen veröffentlicht wurden, zeigen ausgesprochen scholastisch-spekulativen Charakter. Auch einige Texte aus dem Paradisus Animae Intelligentis[2] oder aus Meister Eckhart und seine Jünger[3] lesen sich eher als Vorlesungen denn als Predigten.
Eine kleine Auswahl von Texten der spekulativen Scholastik in deutscher Sprache habe ich selbst untersucht. Von einigen Texten bereite ich eine Ausgabe vor. Da meine Lebensumstände und Arbeitsmöglichkeiten ein konzentriertes Voranbringen dieser Projekte derzeit noch unmöglich machen und da ich andererseits meine Zwischenergebnisse den interessierten Forschern zur Verfügung stellen möchte, werde ich Texte und Kommentare hier digital veröffentlichen und entsprechend dem jeweiligen Stand der Arbeitsprozesses schrittweise ergänzen oder umformen. (Den jeweiligen Stand gibt das Datum am Anfang jedes Textes an.)
Als meine Entdeckung zur Forschung über die deutschsprachige Scholastik im Umkreis von Meister Eckhart darf ich die These betrachten, dass die Augustinereremiten einen substanziellen Beitrag zur Mystik-Diskussion geleistet haben. Diese These habe ich in meiner Untersuchung des Meisters des Lehrgesprächs[4] vertreten; sie ist noch nicht hinreichend bewiesen. Von Georg Steer[5] wurde ihr explizit mit guten Argumenten widersprochen. Ich bin aber überzeugt, dass weitere Untersuchungen meine These bestätigen werden.
Die theologie- und philosophiegeschichtliche Einordnung des 'In-princpio-Dialogs' des Meisters des Lehrgesprächs[6] brachte zunächst eine Irritation, insofern dessen allgemeine Metaphysik, die sich auf dominikanische Tradition gründet und sich in einigen Lehren deutlich auf Meister Eckhart bezieht, schwer mit der exzentrischen Position in der Dreifaltigkeitslehre des 'In-principio-Dialogs' vereinbaren lässt. Diese stützt sich, ohne die übliche augustinisch-thomasische Lehre vom Hervorgang des Sohnes aus der Selbsterkenntnis des Vaters überhaupt zu erwähnen, auf eine These Richards von St. Viktor, die von den Franziskanern, insbesondere von Bonaventura, vertreten wurde, nämlich, dass der Sohn aus der Liebe des Vaters hervorgeht, die einen Anderen, und zwar einen gleich würdigen Geliebten, sucht.
Hinzu kam die Beobachtung, dass der von mir neu entdeckte 'Audi-filia-Dialog: Des menschen adel, val und erlösunge'[7] in der Rechtfertigungs- und Gnadenlehre deutlich Positionen bezieht, die (in der Nachfolge des Gregor von Rimini) von einigen deutschen Augustiner-Eremiten des 14. Jahrhunderts vertreten wurden. Eine Spur dieser augustinischen Position findet sich auch in dem schon zuvor von Steer[8] edierten und kommentierten 'Gratia-Dei-Traktat'.
Von der radikal-augustinischen Rechtfertigungs- und Gnadenlehre der anderen Traktate ausgehend, wurde die Hypothese aufgestellt, dass der Meister des Lehrgesprächs, somit der Verfasser des 'In-principio-Dialogs' ein Augustiner gewesen ist. Nicht der Beweis, aber die Rechtfertigung dieser Hypothese konnte in meiner Studie damals insofern erbracht werden, als ein Vergleich der Lehren 'In-principio-Dialogs' und derjenigen des Augustinermagisters Thomas von Straßburg keine Übereinstimmung aber eine Verwandtschaft erweist, die es nicht ausschließt, sondern eher wahrscheinlich macht, dass der Dialogmeister ein Augustiner war.
Die Aufschließung der augustiner-theologischen Quellen ist schwierig, da die Schriften des Magisters Johannes Hiltalingen, welche die engste Verwandtschaft mit den Lehren des Meisters des Lehrgesprächs aufweisen, nicht im Druck vorliegen. Pater Adolar Zumkeller OSA, Würzburg, gewährte mir dankenswerterweise Einblick in eine Transkription der Münchner Handschrift[9]. Beide sind allerdings sehr fehlerhaft. Inhaltlich scheint zunächst der Vermutung einer Verbindung zwischen Johannes Hiltalingen und dem Meister des Lehrgesprächs die Tatsache zu widersprechen, dass Hiltalingen zustimmend aus einem Prozessgutachten aus Avignon gegen Eckhart zitiert[10]. Die Analyse zeigt allerdings, dass er trotzdem Thesen Eckharts im Sinne seines eigenen theologischen Standpunkts zustimmend uminterpretiert.
Inzwischen habe ich die These der Identität des Meisters des Lehrgesprächs mit Johannes Hiltalingen von Basel und dem Autor des Traktats von der Minne zu beweisen versucht:
KARL HEINZ WITTE, Der 'Traktat von der Minne', der Meister des Lehrgesprächs und Johannes Hiltalingen von Basel. Ein Beitrag zur Geschichte der Meister-Eckhart-Rezeption in der Augustinerschule des 14. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 131 (2002) 454-487 |
Mit der Stellung Hiltalingens zu Eckhart und zur augustinischen Gnadenlehre sind die Eckpunkte der Untersuchungen genannt.
Die dogmatisch korrekte Interpretation einiger Thesen Eckharts ist, wie schon von Steer[11] und mir[12] gezeigt, charakteristisch für alle Dialoge des Meisters des Lehrgesprächs. Aber noch differenzierter geschieht eine solche interpretierende Stellungnahme im 'Traktat von der Minne'[13]. Überraschend ist, dass dieses kleine Werk nicht nur Parallelen zum 'In-principio-Dialog' des Meisters des Lehrgesprächs aufweist, sondern sehr auffällige und individualisierende Übereinstimmungen mit Thesen des Johannes Hiltalingen.
Die Analyse des 'Traktats von der Minne' und der Parallelen bei Johannes Hiltalingen von Basel ist demnach die Schaltstelle der quellenkritischen Untersuchung. Sie wird demnächst in einem Zeitschriftenaufsatz vorgelegt werden. Da diese Perle der spekulativen Scholastik in deutscher Sprache, der 'Traktat von der Minne', nicht leicht zugänglich ist (s. o. Anm. 13) und da sie obendrein sprachlich und inhaltlich hohe Anforderungen an das Verständnis des Lesers stellt, veröffentliche ich auf einer anderen Seite dieser Homepage eine Edition und meine neuhochdeutsche Übersetzung.
Der nächste Schritt in der Verifizierung meiner These, dass der Meister des Lehrgesprächs dem Augustinermagister Johannes Hiltalingen von Basel sehr nahe steht, setzt eine Untersuchung der Zitate und Kommentare Hiltalingens zu Eckhart voraus. Die Edition und Übersetzung eines entscheidenden Textstücks finden Sie, wenn Sie die Seite Hiltalingen-Eckhart aufrufen
Anschließend kann die Edition und der theolgiegeschichtliche Kommentar die 'Audi-Filia-Dialogs' vorgelegt werden. Den Text dieses Werkes ohne den analytischen Kommentar stelle ich der Forschung ebenfalls auf dieser Homepage zur Verfügung.
Ist meine erste Arbeit zu diesem Themenkreis. Er dürfte ebenfalls noch unaufgedeckte Linien theologiegeschichtlicher Zusammenhänge der Eckhartrezeption im 14. Jahrhundert ziehen lassen.
Dieser Text ist ebenfalls augustinischen Tenors. Er bietet Stoff zu interessanten überlieferungsgeschichtlichen Beobachtungen
[1] Meister Eckhart, hg. von F. Pfeiffer. (Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts 2), Leipzig, 1857.
[2] Paradisus animae intelligentis. Paradis der fornunftigen sele, hg. von P. Strauch. (DTMA 30), Berlin, 1919.
[3] Meister Eckhart und seine Jünger: Ungedruckte Texte zur Geschichte der deutschen Mystik, hg. von F. Jostes. (Cllectanea Friburgensisa 4), Freiburg/Schweiz, 1895.
[4] K. H. Witte, Der Meister des Lehrgesprächs und sein In-principio-Dialog. Ein deutschsprachiger Theologe der Augustinerschule des 14. Jahrhunderts aus dem Kreise deutscher Mystik und Scholastik. Edition und Kommentar (MTU 95), München u. Zürich 1989
[5] G. Steer, Rezension zu Witte, K. H., Der Meister des Lehrgesprächs und sein 'In-principi-Dialog'. Beiträge zur Geschichte der Deutschen Sprache und Literatur 117 (1995) 341 - 350..
[6] Witte,,. S. a. K. H. Witte, Meister des Lehrgesprächs, in: 2VL. Bd. 6, Sp. 331 - 340.
K. Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, München 1990 - 1999
[7] Meister des Lehrgesprächs, Audi-filia-Traktat: Des menschen adel, val vnd erlösunge, Handschrift, Colmar, Blbiothèque de la ville, Ms. 1945 o. J., vgl. Witte, Der Meister des Lehrgesprächs
[8] G. Steer, Scholastische Gnadenlehre in mittelhochdeutscher Sprache (MTU 14), München 1966
[9] Alle Werke Hiltalingens sind in der Münchner Hs. clm 26711 gesammelt. Das Werk- und Überlieferungsverzeichnis findet sich bei A. Zumkeller, Manuskripte von Werken der Autoren des Augustiner-Eremitenordens in mitteleuropäischen Bibliotheken (Cassiacum 20), Würzburg 1966, 242f. u. 599 601.
[10] J. Koch, Der Kardinal Fournier (Benedikt XII.) als Gutachter in theologischen Prozessen, in: Kleine Schriften. Bd. 2 (Storia e letteratura 128), Rom 1973, 367-386.; J. Koch, Kritische Studien zum Leben Meister Eckharts, in: Kleine Schriften (Storia e letteratura 128), Rom 1973, 247 - 347.
[11] Steer, Scholastische Gnadenlehre
[12] Witte, Der Meister des Lehrgesprächs
[13] K. Ruh, Traktat von der Minne: Eine Schrift zum Verständnis und zur Verteidigung von Meister Eckharts Metaphysik, in: Philologie als Kulturwissenschaft: Studien zur Literatur und Geschichte des Mittelalters (FS K. Stackmann), hg. von L. Grenzmann, Göttingen 1987, 208 - 229.
[14] F. Pfeiffer, Das buoch von dem grunde aller bôsheit. Zeitschrift für deutsches Altertum 8 (1851) 452-463.
[15] K. H. Witte, Vorsmak des êwigen lebennes: Beobachtungen zu einem scholastischen Traktat von der Schau des dreifaltigen Gottes aus dem Kreise der deutschen Mystik, in: Würzburger Prosastudien I: Wort, Begriffs- und textkundliche Untersuchungen, hg. von Forschungsstelle f. dt. Prosa des Mittelalters am Seminar f. dt. Philologie der Universität Würzburg. Bd. 1 (Medium Aevum Bd. 13), München 1968.